Guten Tag,

be­stimmt hät­ten Sie nicht ge­dacht, dass die Gei­er­wal­ly eine der ers­ten Kunst­stu­den­tin­nen an der Aka­de­mie für Bil­den­de Küns­te in Mün­chen war! Be­kannt ist sie ja eher als mehr oder we­ni­ger dra­ma­tisch-kit­schi­ge Ro­man- bzw. Film­fi­gur.

In Wirk­lich­keit hiess sie Anna Stai­ner-Knit­tel, ge­bo­ren 1841 in Elbi­gen­alp im Ti­ro­ler Lech­tal. Und sie war eine sehr er­folg­rei­che und an­ge­se­he­ne Ma­le­rin in Inns­bruck, als sie nach dem Stu­di­um zu­rück­kehr­te, von ihrer Kunst lebte.

Eines ihrer Selbst­por­traits ent­deck­te die Schrift­stel­le­rin Wil­hel­mi­ne von Hil­lern 1870 in einem Inns­bru­cker Laden. Tat­säch­lich hatte sich Stai­ner-Knit­tel näm­lich in jun­gen Jah­ren auf aben­teu­er­li­che Weise zu einem Ad­ler­horst ab­ge­seilt, um ihn aus­zu­neh­men. Bei die­ser Art Schutz für die Schaf­her­den kam es immer wie­der zu Un­glücks­fäl­len, und so hat­ten sich die Män­ner ihres Dor­fes ge­wei­gert. Das war na­tür­lich ein Denk­zet­tel und zeig­te den Mut und die Un­er­schro­cken­heit von Stai­ner-Knit­tel.

Die Ro­man­schrift­stel­le­rin macht dar­aus eine höchst dra­ma­ti­sche Ge­schich­te mit einem bö­se-streit­süch­ti­gen Vater, der Adler wird zum Geier, den Wally aus dem Nest nimmt und in Zu­kunft immer auf der Schul­ter trägt. Ein Zei­chen ihrer Wild­heit und Härte, die durch eine un­glück­li­che Lie­bes­ge­schich­te noch ver­stärkt wird, aber nach vie­len schreck­li­chen Ver­wir­run­gen doch noch zum Happy End führt. Die echte Stai­ner-Knit­tel hat damit gar nichts zu tun, vor allem nicht mit den Frau­en­kli­schees, die Ad­ap­tio­nen zei­gen.

Doch Ro­ma­ne, Filme und vor allem un­end­lich viele Kunst­wer­ke er­zäh­len von der Fas­zi­na­ti­on für die Berg­welt. Mo­nu­men­tal, be­ein­dru­ckend, gross­ar­tig und schreck­lich, er­ha­ben, schön und ge­fähr­lich, mys­tisch in Wol­ken ge­hüllt und son­nig an­ge­strahlt haben Künst­ler/innen die Berge dar­ge­stellt.

Eine davon war Anna Stai­ner-Knit­tel. Das Kunst Mu­se­um So­lin­gen wid­met ihr nun die Aus­stel­lung „Gei­er­wal­ly und der Berg in der zeit­ge­nös­si­schen Kunst“. Wer hätte das ge­dacht – die mu­ti­ge Gei­er­wal­ly war ei­gent­lich eine höchst er­folg­rei­che Kunst­ma­le­rin!

Immer gut für Über­ra­schun­gen und Ent­de­ckun­gen,
herz­lich Ihre Eva Mu­el­ler

Abb: Anna Stai­ner-Knit­tel, Selbst­por­trait im Ad­ler­horst, 1864, Öl auf  Lein­wand

Abb: Heike Weber, Wand­re­lief aus roter Wä­sche­lei­ne über Na­deln,
als Me­ta­pher für den Akt des Ha­ken­set­zens beim Klet­tern

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