Es gibt keinen optimalen Standort, von dem aus wir das Ganze überblicken könnten. Man muss umhergehen, immer wieder neue Perspektiven einnehmen. Phyllida Barlow verweist uns in ihren Ausstellungen auf die Hybris, die uns nicht selten ereilt. Zu meinen, wir wüssten Bescheid, hätten den Überblick.
Als Professorin für Bildende Kunst an verschiedenen Hochschulen in England, prägte Barlow unter vielen anderen bekannte Künstler*innen wie Rachel Whiteread, Douglas Gordon, Angela de la Cruz. Denn niemand verwandelt Räume so radikal wie sie. Ihre Skulpturen gehen bis zur äussersten Grenze, stossen an Wände und Decken, scheinen sogar darüber hinaus zu reichen. Deren physische Präsenz ist phänomenal. Mächtige Aufbauten und Installationen verstellen uns den Weg. An dieser Kunst kommt man wirklich nicht vorbei!
Wir erleben die Beziehung physikalischer Körper in Interaktion mit dem jeweiligen Ort. Die Stärke bildhauerischer Arbeiten. Phyllida Barlow sprengt mit ihren Werken den Raum.
Die Sprengung zerstörter Häuser nach dem 2. Weltkrieg im Londoner East End hatte sie als Kind gesehen. Ihre Installationen vermitteln diese Erfahrung. Der Lebenszyklus von Materialien und Dingen wird in ihren Werken nachvollziehbar. Ausgemusterte Alltagsmaterialien werden verformt, mit Gips überzogen, mit Farbe übermalt. Styropor wirkt dann wie schwerer Beton, im Spiel mit Gewicht, Masse, Dominanz.
Objekte entstehen für spezielle Orte, werden abgebaut, auseinandergelegt, tauchen in anderen Konstellationen wieder auf. Es geht um den Prozess, das Potential der Dinge und Materialien. Ewiges Recycling. Natürliche Zyklen. Barlow sieht sich als Teil des Geschehens, überprüft jeden Moment, jedes Teil, jede Farbe, jede Anweisung für ihre Assistent*innen. Ohne ihre Eingriffe wirken die Dinge rauh, eher hässlich. Schön werden sie durch ihre Wahrhaftigkeit und Fähigkeit, das Gewöhnliche in Ausserordentliches verwandeln zu können. Improvisationen wie im Jazz. Ergebnis: Riesige Stillleben.
Jede Zusammenstellung ist ein Abenteuer, eine neue Lebenserfahrung mit Herausforderungen und Fehlerquellen. Essenz des Seins. Nach dem phantastischen Pavillon von Phyllida Barlow auf der Biennale in Venedig 2017 können wir nun mit einer Werkübersicht aus zwei Jahrzehnten im Haus der Kunst daran teilhaben.
Mit begeisterten Grüssen
Ihre Eva Mueller
Fotoabbildungen nur während der Ausstellung erlaubt