DEMAGOGEN. DIKTATOREN. TYRANNEN
„Zu Dionysos dem Tyrannen schlich Damon, den Dolch im Gewande…“ lernte ich als 5jährige Schillers Ballade „Die Bürgschaft“ von meinem viel älteren Bruder, der sie für die Schule immer wieder auswendig deklamierte.
Nur wenig später wurde endlich die Geschichte des Nationalsozialismus in den Medien präsenter. Ich hörte unterschiedlichste Beiträge mit den Erwachsenen im Radio. Als Teenager las ich alles, was mir darüber in die Hände kam. Und war überzeugt, jetzt müssten doch alle zustimmen: „Nie wieder“ darf so etwas geschehen. Und heute?
Die Figur des Tyrannen
Im letzten Sommer widmete sich die Akademie der Politischen Bildung in Tutzing dem Thema der Tyrannei. Da bedienen sich unterschiedlichste Gruppierungen wieder hässlichster Denunziationen im wenig verhüllenden Deckmäntelchen. Man muss allerdings genau hinsehen und hinhören.
In ihrem interessanten Akademie Report ist vieles davon nachzulesen. Auch zur Frage, wie wir demokratiefeindlichen Tendenzen widerstehen? Die Geschichte zeigt: Demagogen und Tyrannen bauen ihre Herrschaft darauf, das Bildungsniveau zu senken, die Bevölkerung zu depolitisieren, möglichst viele Menschen durch Korruption gefügig zu machen, Angst, Misstrauen und Feindschaft zu säen.
Also braucht es das genaue Gegenteil, wenn wir unsere freiheitliche Grundordnung stärken wollen: Bildung, ein breites gesellschaftliches und politisches Interesse und Miteinander, kritische Urteilskraft, geistige Freiheit, Mut.
Worauf sich Tyrannen in ihrer Herrschaft als erstes stürzen, ist die Freiheit der Kunst. Komisch eigentlich. Warum so etwas harmloses wie Bilder, Musik, Theater, Literatur verbieten? Weil sie die Wahrnehmung schulen. Uns auffordern, verschiedenste Blickwinkel einzunehmen. Nichts einfach so zu glauben. Argumente abzuwägen. Sichtweisen zu prüfen. Ästhetisches und Inhaltliches bewusst wahrzunehmen.
Freiheit und Stärke der Kunst
Ein weiterer Pluspunkt, den ich an der Kunst so schätze. Wahrnehmungsgeschult prüfen und „ent-decken“ zu können, welche Vision von unserem Leben und Arbeiten eigentlich propagiert wird. Die herausragende Bedeutung von Bildern und Metaphern für wirtschaftliches und politisches Handeln wurde letztes Wochenende bei der Tagung der Evangelischen Akademie, in Kooperation mit der Hochschule für Gesellschaftsgestaltung Koblenz, ganz besonders deutlich.
Kunst und kulturelle Bildung schützen.
Mit – trotz allem – zuversichtlichen Grüssen, weil wir gestalten können,
Ihre Eva Mueller
Lothar Seruset „Du lieber Michael“, 2014/17, Bronze bemalt
Der Künstler Lothar Seruset findet immer wieder überzeugende Bilder und Metaphern, um uns aufzurütteln. Ich interpretiere den „lieben Michael“ als deutschen Michel. Er wirft die Frage auf, wie viele Leben uns Demagogen, Diktatoren und Tyrannen in der Geschichte schon gekostet haben. In der Vergangenheit, auf der er steht. Und wie es in Zukunft, auf und in seinem Kopf, weiter gehen soll?