GLANZ UND ELEND
KLEINE STILKUNDE: NEUE SACHLICHKEIT

Wir sind nie unbeeinflusst von unserer Zeit, aktuellen Ereignissen, Moden und Hypes, gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen. All dies beeinflusst natürlich auch Kunstschaffende. Kinder ihrer Epoche und des jeweiligen Weltgeschehens waren auch die Künstler:innen der Neuen Sachlichkeit.

Die zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts markierten einen Wendepunkt. Der erste Weltkrieg endete 1918. Über neun Millionen Tote waren zu beklagen. Das Leid von zwanzig Millionen Verwundeten in den Strassen erforderte eine neue Sicht auf die Wirklichkeit. Zugleich war die Versuchung gross, alle Traumata einfach vergessen zu wollen, das Leben in vollen Zügen zu geniessen, wenn es schon so in Gefahr geraten konnte.

Als „Tanz auf dem Vulkan“ wurden die „Goldenen Zwanziger“ oft beschrieben. Frauen trugen jetzt Bubikopf und Hosen, forderten politische Gleichberechtigung und erotische Freiheiten. Varietés und Nachtclubs florierten, besonders in den grossen Städten. Industrie und Technik entwickelten sich in rasendem Tempo. Bis mit dem Börsenkrach von 1929 alles zusammenbrach, immer mehr Menschen arbeitslos wurden und die brutale Naziherrschaft mit ihren Schlägertrupps und Freikorps den Siegeszug antraten.

Mittendrin und zwischen diesen diametral auseinanderliegenden – und sich doch gegenseitig bedingenden Polen bewegten sich die Künstler:innen. Exstatischer  Rausch und nüchterner Realismus wechselten sich ab. Käthe Kollwitz oder Otto Dix zeigten in ihren berührenden Zeichnungen, Gemälden und Skulpturen das soziale Elend. Illusionslos entwarfen Grethe Jürgens, Christian Schad oder Liselotte Laserstein in kühler, unpersönlich-distanzierter Malerei das neue Menschenbild.

Im Leopold Museum in Wien* können wir nun dieser Zeit nachspüren, ihrem Glanz und Elend. Sehr sehenswert!

Geniessen Sie Ihren Sonntag und die neue Woche,

herzlich Ihre Eva Mueller

*Glanz und Elend, Neue Sachlichkeit in Deutschland, Leopold Museum Wien bis zum 29.9.2024

Neue Sachlichkeit

Abb. links: Grethe Jürgens „Frisierpuppen, 1927, Privatsammlung, Foto: Benjamin Hasenclever, München, Copyright: Heide Jürgens-Hitz

Mittig: Lotte Laserstein „Die Tennisspielerin“, 1929, Copyright Privatbesitz, Foto: Lotte-Laserstein-Archiv Krausse, Berlin, Bildrecht, Wien, 2024

Rechts: Rudolf Schlichter, Verwahrloste Jugend, um 1925/26, Copyright Privatsammlung, Foto: Christian Wirth, München, Copyright Viola Roehr von Alvensleben, München

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