Kreativität versus Angst

Guten Tag,

als hilfreiche und blitzschnelle Reaktion auf Wilde-Tiere-Begegnungen ist die furchtbesetzte Alarmbereitschaft sinnvoll angelegt, die unser limbisches System in solchen Situationen sofort entwickelt. Das Gefühl der Furcht sitzt in der Amygdala, dem Mandelkern des Gehirns und will in diesen Fällen unser Überleben sichern. Seit Urzeiten kämpfen wir so, fliehen oder stellen uns tot.

Angstgefühle entstehen, wenn Sie sich dementsprechende Feinde und Gefährdungen vorstellen, blumig ausmalen und mit negativen Gedanken aufladen, die bei genauerer und analytischer Betrachtung gar nicht existieren! Völlig überflüssiger Weise gerät das ganze System auf Hochtouren. Wer sich an dieses Verhalten gewöhnt, leidet unter chronischem Stress, der sich noch verschlimmert, wenn man ihn unterdrücken will, befürchtet, andere könnten die ängstliche Haltung erkennen und als Kontrollverlust einordnen. Normal schaltet sich nämlich nach kurzer Zeit das parasympathische Nervensystem ein, verlangsamt den Puls, versetzt Körper und Geist wieder in Normalzustand.

Zum besseren Verständnis unterscheiden Forscher/innen daher Furcht und Angst. Interessanterweise spielen heute im gesellschaftlichen Raum furchterregend grölende Personen mit ihren angeblichen Angstgefühlen und dem Versuch sich selbst als bedauerns- und schützenswert darzustellen. Natürlich erfordern echte Benachteiligung und Traumata Rücksichtnahme und Heilung. Aber: Nicht die Randalierer vor dem Bus, mit dem Flüchtlinge ankommen, können mit ihrer traumatischen Angst argumentieren – sondern die, die im Bus sitzen, vor Krieg, Folter, Terror geflohen sind und nun im erhofften, sicheren Deutschland auf neue Bedrohung treffen.

Es ist also Vorsicht geboten, wenn sorgenvolle Zukunftsvisionen entworfen werden. Wer will schon Menschen hinterfragen, die Angst haben? Doch genau das sollten wir in diesen Zeiten tun – und Fehlalarm auch als solchen benennen. Aktivieren wir also den Hippocampus, der analysiert, Merkmale feiner erkennt, bewertet, ob Reize ungefährlich sind und dazu unterschiedliche Informationen verwertet.

Wer kreativ und phantasievoll reagiert, sieht mehrere Lösungsansätze, kann sich etwas Neues vorstellen und wagen! Der Umgang mit Kunst trainiert diese Wahrnehmung, eröffnet Möglichkeitsräume, ein tieferes Verständnis und Bewusstsein für Sinn und Aus-Wirkung der auftretenden Herausforderungen. Nur deshalb können wohl gerade Künstler/innen mit ihrem wenig Sicherheit bietenden Beruf so vitale Lebensentwürfe entwickeln.

Kreativität ist mit einer unbändigen Neugier verbunden, die wir von Kindern kennen. Sie ist der Kernimpuls für intuitives Lernen und nutzt die vorhandene Plastizität des Gehirns. Ambiguitätstoleranz, die Fähigkeit widersprüchliches als Stimulation wahrzunehmen, lässt erst gar keine Angst aufkommen!

Mit sonnigen Sonntags-Grüssen
Ihre Eva Mueller

Abb: Lothar Seruset, „Die Reise, Holz bemalt, 2012, 115x59x15 cm

Die Figuren des Künstlers Lothar Seruset sind häufig von grossen schwarzen Tieren umgeben. Man weiss nicht so genau, ob sie im Inneren der Dargestellten angelegt sind – oder mit äusseren Unwägbarkeiten zu tun haben. Sie werden getragen, gebändigt, gehalten – und manchmal stützen sie selbst die Szenerie.

Im Relief „Die Reise“ schaffen die Tiere den Rahmen, eine schöne Metapher für die Lebensreise, in der wir mit verschiedenen Kräften zu tun haben – und am Besten eng beieinander stehen und offen in die Welt sehen, um allen Herausforderungen gewachsen zu sein.

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